Die Kunst der Worte und warum man hin und wieder a sei Pappn hoidn suit.



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(Gebundene Ausgabe)


LESEPROBE Potemkin’sche Dörfer:

Ein Potemkin’sches Dorf ist das Herstellen einer Fassade zum Täuschen und Vorgaukeln falscher Tatsachen. Angeblich von Feldmarschall Potemkin angewandt, um Katharina die Große zu täuschen und ihr zu zeigen, wie viele schöne Dörfer in den neu eroberten Ländereien zu finden seien. Hinter den Fassaden sah es aber gänzlich anders aus.

Ich habe mir dieses Thema ausgesucht, da ich das Gefühl habe, von solchen Dörfern umzingelt zu sein, und dass es tagtäglich mehr werden. Unser Leben als Menschen verläuft in eine Richtung, die ich als bedenklich empfinde. Ich stelle mir auch öfters die Frage, ob die Menschen blind geworden sind und ihr Hirn sich dem IPhone-Speicher angepasst hat. Andererseits spüre ich aber auch eine Leere im Menschsein, die hinter den gut geschmückten Fassaden immer größer wird. Menschen des „Westens“ definieren sich über ihre Fassaden. Ja, diese sind durchaus wohlgeschmückt, aufgeputzt und hochwertig. Da werden Postings in „unsoziale“ Medien gestellt, die ein verändertes Äußeres zeigen – mithilfe ganzer Heerscharen von Optimierungs- und Aufhübschungs-Software. Jeder Regenbogen, Gipfelsieg (zu Fuß, mit dem Bike, mit den Tourenski), neue Frisur, gebasteltes Irgendwas (diese Liste lässt sich unglaublich verlängern) muss geteilt werden. Man giert nach LIKES und Anerkennung. Was ist mit uns passiert? Ein jeder errichtet sein Potemkin’sches Dorf vor sich, um jedermann zu zeigen, dass alles SUPER ist. In Wahrheit ist aber nicht alles super. Menschen haben Sorgen, Ängste, Nöte. Das ist völlig normal und deshalb sollte sich auch niemand schämen müssen. Was aber machen wir digitalisierten Menschen? Wir stellen eine schöne Fassade davor. Was passiert aber mit den Sorgen, Ängsten und Nöten? Nichts – sie sind weiter da, aber hinter der bunten, glitzernden Fassade, erstellt mit den neuesten Beautypflegeprodukten von einer weiteren sektösen, schneballsystembasierenden Beautylinie (sektös ist eine Wortschöpfung und bedeutet: Eigenschaften einer Sekte habend).

Liebe Mitmenschen, der Körper benötigt nur Wasser zum Waschen, dafür ist er gemacht und so funktioniert es seit Tausenden von Jahren. Ihr seid nicht schmutziger als unsere Vorfahren, ganz im Gegenteil. Ist der gesellschaftliche Druck so hoch, dass ihr euch Tag-Nacht-Cremen, Masken, Tinkturen und was weiß ich noch alles ins Gesicht schmieren müsst? Ihr euch Achselsprays, Roll-ons unter die Achsel kleistert, um wie Lemongras zu riechen? Beim Duschen wascht ihr euch mit chemischen Keulen – das sind eure Duschbäder nämlich – den natürlichen Schutzmantel der Haut ab, um euch dann mit etwas Künstlichem von oben bis unten einzucremen, damit eure Haut nicht trocken ist? Und damit ihr auch riecht wie ein Hibiskus. Ganz ehrlich, ich verstehe es nicht.

Jeder Mensch wird immer mehr zum Potemkin’schen Dorf, und das Schlimme daran ist, er merkt es noch nicht einmal. Früher hatten wir ein anderes Wort dafür, Blender. Jemand, der anderen etwas vorgaukelt, was er/sie gar nicht ist, hat oder kann. Die Menschen tun viele Dinge nicht mehr für sich, sondern für alle anderen. Um dazuzugehören, zu gefallen, geliebt zu werden. Die Liebe, liebe Mitmenschen, muss man zuallererst bei sich selber finden, man bekommt sie nicht, weil man anderen vorgaukelt, besser/reicher/schöner zu sein.

Wie schon gesagt, die Potemkin’schen Dörfer sind überall. Fernsehstars, Musiker (speziell die der Schlagerszene und volkstümlichen Richtung), der junge Mann mit dem teuren Auto, die schöne Influenzerin, die die hippsten und brandneuen Körperpflege-Style-Features vertreibt, Politiker, Firmen und New business digital sales blablabla.

Und hinter der Fassade? Ödes Land.

Das System der Potemkin’schen Dörfer funktioniert nicht dauerhaft. Es taugt nur, um kurzfristig zu blenden und zu täuschen. Die Fassaden sind dünn. Bei Wind oder Sturm drohen sie umzufallen. Damit sie lange halten, muss immer wieder nachgespachtelt werden, niemand soll je einen Blick auf die Ödnis dahinter werfen können.

Warum beleben wir nicht die Ödnis hinter unseren Fassaden? Verwandeln wir doch unseren Garten in ein blühendes natürliches Juwel, dann brauchen wir keine Potemkin’sche Fassade mehr. Jeder echte Rosenstrauch, und sei er noch so verwildert und verwuchert, ist schöner als ein aufgemalter Rosenstrauch auf einer Fassade aus buntem, glitzerndem Kunststoff.

Es werden menschliche Potemkin’sche Dörfer gebaut, um etwas zu zeigen, was man nicht hat, man eigentlich gar nicht braucht, um Menschen zu beeindrucken, die man eigentlich gar nicht mag. Und so etwas soll glücklich machen? Ist es nicht eher wie ein kurzfristiger Energy-Kick für die Seele? Jeder weiß doch mittlerweile, was passiert, wenn man Zucker zu sich nimmt. Man bekommt einen kurzfristigen Höhenflug, aber der Absturz geht tiefer in den Keller als man vorher war. Und mit jedem Ego-Kick ist der Absturz tiefer und man benötigt noch mehr Farbe für die Potemkin’sche Fassade. Auf dieser Geige spielen die unsozialen Medien. Facebook, Instagramm, WhatsApp und so weiter.

Und alles nur, weil wir geliebt werden wollen. (Herzchen-Smiley)

Wenn die Fassade einstürzt, wundern sich dann die anderen Menschen, welche Ödnis dahinter zum Vorschein kommt. Die Scham darüber und die fehlende Liebe treibt diese Menschen dann bis zum Suizid. Siehe Club 27 und alle anderen „Prominenten“, die vor ihrer Zeit gingen und das Leben nicht mehr lebenswert fanden.

Ich hoffe, die Menschen haben etwas aus den Monaten der Pandemie, den Monaten der Einschränkungen, den Monaten der körperlichen Abstinenz gelernt. Unsere Potemkin’schen Dörfer bringen uns keinen Seelenfrieden, sie machen uns nicht glücklich. Zufrieden und glücklich machen uns Momente in der Gegenwart mit für uns emotional wertvollen Personen. Von der Verkäuferin im Supermarkt bis zum Polizisten an der Kreuzung, vom Lehrer der Kinder bis zur Arbeitskollegin. Wir sind alle vernetzt, wollen alle dasselbe und brauchen dafür keine Potemkin’schen Dörfer. Was wir brauchen, ist Ehrlichkeit, Empathie und Vertrauen. Aus diesen Zutaten entsteht dann Liebe – und das ist alles, was wir wirklich brauchen und nach dem wir uns sehnen.